Kunst und Natur auf der Spur – ich bin Co Autor

Ich bin „Co-Autorin“ eines Buches! Ganz überraschend kam das. Soll heißen, ich wusste nichts davon. Am Montagabend stand ein merkwürdiges, steinschweres Paket im Flur.

Merkwürdig deshalb, weil ich kein Paket erwartete. Die Schrift kannte ich nicht und dass jemand meine Adressdaten mit Telefonnummer und E-Mail Adresse ausschreibt, war auch sehr ungewöhnlich.

Große Überraschung, das Paket kam von Lorenz Kuntner. Besser bekannt als der Indianer von Prad, den kennenzulernen ich letztes Jahr das Vergnügen hatte. Das meine ich wörtlich, es war wirklich höchst vergnüglich. So sehr, dass ich gleich zweimal innerhalb einer Woche nach Südtirol fahren musste. Das zweite Mal, um mir einen oder zwei von Lorenz Kunststeinen zu kaufen, was ich beim ersten Besuch verschoben hatte, weil ich mich nicht entscheiden konnte.

Als ich nach dem Steinekauf weiter gen Livigno fuhr, verabredeten wir, dass ich ihm meine Fotos auf CD brenne und er sie für sein nächstes Buch verwenden darf. Mit der CD schickte ich ihm auch die beiden Reiseberichte, die ich im Anschluss unserer Begegnungen verfasst hatte. Und dann hörte ich ein halbes Jahr nichts mehr von Lorenz. Bis Montag.

In dem Paket war Lorenz‘ achtes Buch, das er mir als Dankeschön mit einer lieben Widmung geschenkt hat. Es trägt den Titel “ Kunst und Natur auf der Spur“ und meine beiden „Besucherberichte“ sind gleich vorne im Buch. Nun steht zum ersten Mal etwas von mir geschriebenes in einem richtig dicken, schweren Buch (400 Seiten!!!), nicht im Internet oder einer Zeitschrift.

Kaum ausgepackt, begann ich gleich zu lesen, obwohl es spät am Abend und saukalt in meiner Wohnung war. Da hatte ich genau das richtige Feeling, um von kalten Wintern und fehlender Elektrizität im Südtirol der 1950er Jahre zu lesen. Die ersten 100 Seiten erzählen Geschichten aus Lorenz‘ jungen Jahren. Etwa weitere 100 Seiten sind Fotos von seinen steinernen Kunstwerken und wunderschöne Naturaufnahmen der beiden Naturfotografen Elmar Kuntner (Lorenz‘ Sohn) und Horst Eberhöfer. Und die restlichen 200 Seiten sind gefüllt mit Gedichten, Weisheiten, Lebensbetrachtungen und Sprüchen. Die kann man allerdings nicht wie die Geschichten in einem runterschlingen.

Die mir liebste Geschichte in Lorenz‘ Buch trägt den Titel „Mein Ausflug zum Mont Blanc“. Ich denke er freut, sich, wenn ich sie an dieser Stelle in gekürzter Fassung wiedergebe. Zur Bebilderung hab ich einige common Fotos von wikimedia verwendet.

Mein Ausflug zum Mont Blanc
von Lorenz Kuntner –

Damals trug ich den Virus Bergsteigerei in mir und war besessen darauf aus, einen Gipfel nach dem anderen zu besteigen. Kaum war ich abends von der Büroarbeit nach Hause zurückgekehrt, schlüpfte ich in Windeseile in einen „Trainingsanzug“ und rannte zur Ertüchtigung in unglaublichen Rekordzeiten Strecken ab, über Stock und Stein mit einer sagenhaften Leichtigkeit. Kurz und gut, ich war „pamperle-fitt“

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich einmal zur körperlichen „Ertüchtigung“ früh morgens auf eine ganz neue Art und Weise zur Arbeit in die Schweiz fuhr: Als Grenzgänger lag mein damaliger Arbeitsplatz 22 Kilometer von zuhause entfernt. Ich stand früh morgens um vier Uhr auf, nahm mein Fahrrad und gelangte über das Münstertal bis nach Valchava, zweigte dort ab und fuhr auf dem Forstweg weiter Richtung Alp Mora. Auf dem Döss Radond, das ist ein magischer Punkt, eine alte Kultstätte und zugleich die Wasserscheide (Adriatisches Meer / Schwarzes Meer) ließ ich mein Fahrrad liegen, rannte mit dosiertem Tempo geradewegs auf den Gipfel des Piz Lad, um den Sonnenaufgang zu fotografieren, denn das war mein Ziel (nur zum Training).

Oben angelangt war es mir fast peinlich, noch minutenlang auf den ersehnten Sonnenaufgang warten zu müssen. Kaum war dieses Erlebnis fotografisch festgehalten, machte ich mich wieder schnurstracks hinunter zum Fahrrad, schwang mich hoch und sauste talab und die ganze Strecke wieder zurück bis nach Müstair zu meinem Arbeitsplatz. Dort traf ich fast pünktlich so gegen 7.30 Uhr ein und ging gut trainiert an meine Büroarbeit.

Mit Gerlinde aus Stilfs hatte ich bereits das Matterhorn und die Doufur Spitze, den höchsten Berg der Schweiz auf abenteuerliche Weise bezwungen, beziehungsweise hinter mich gebracht. Auf dem Weg zum Gipfel des Matterhorns haben wir uns an die Fersen eines Schweizer Bergführers geheftet, wir sind zügig ihm und seinem 50-jährigen Gast gefolgt, um ohne Irrwege in den Wänden des Hörnligrates schnell zum Gipfel zu gelangen.

Das Tempo, das der Bergführer vor allem zu Beginn hinlegte, war gewaltig und außer uns beiden war keiner im Stande, mit ihm Schritt zu halten. An jenem Tag waren um die fünfzig Seilschaften unterwegs. Beim Einstieg hat es nur so gewimmelt. Viele haben sich gleich zu Beginn in der Ostwand verlaufen und kamen nicht so schnell vom Fleck. Die meisten Seilschaften haben den Gipfel überhaupt nicht erreicht. Wir vier Personen waren die ersten am Gipfel an diesem Tag.

Kaum hatte der Gast des Bergführers ein paar Fotos gemacht, widerfuhr ihm plötzlich ein Herzversagen und er fiel zu Boden. Der Bergführer begann sofort mit Mund zu Mund Beatmung und Herzmassage und allerhand Wiederbelebungsversuchen. Über sein Funkgerät forderte er Hilfe an. Innerhalb weniger Minuten kam ein Rettungshelikopter angeflogen, sodass wir uns am Gipfel zu Boden bücken mussten, um uns mit aller Kraft festzuhalten, damit der Luftdruck uns nicht vom Gipfelgrat pustete. Über eine Seilwinde kam ein Notarzt direkt vom Himmel herab, fühlte den Puls und sprach nur zwei Worte: „zu spät.“ Dann seilte er sich mit dem Toten wieder hoch. Das Seil kam nochmals herab und im Nu verschwand auch der Bergführer vor unseren Augen und weg war der Spuk in kürzester Zeit.

Nach diesem Abstecher auf das Matterhorn nun zum Mont Blanc. Weil auch der Albert gerade Ferien hatte, machten wir uns auf den Weg. Um sechs Uhr früh des siebten August fuhren wir mit meinem Auto von Prad los. Den ganzen Tag waren wir auf der Fahrt über mehrere Pässe, bis wir ungefähr um 19 Uhr abends etwas müde von der Fahrerei in Les Houches ankamen.

Von hier galt es die viertausend Höhenmesser zu bewältigen. Eine Übernachtung im Dorf wollte ich mir ersparen und so gingen wir direkt zur Talstation der Seilbahnanlage. Da war allerdings bereits Feierabend und wir standen da wie der Ochs vor dem Berg. Das konnte mich aber nicht erschüttern und ich sagte kurzerhand zum Albert: „Dann gehen wir halt zu Fuß.“

Weil wir keine Zeit verlieren wollten, und weil uns die Gegend unbekannt war, marschierten wir schwer beladen direkt der Seilbahn entlang bis hinauf zur Bergstation. Dort angelangt erwartete uns eine Überraschung: Eine Zahnradbahnschiene führte hier weiter den Berg hoch. Doch diese Bahn hatte auch schon Feierabend. Also marschierten wir zu Fuß weiter der Schiene entlang, bis erneut Endstation war.

Dort angekommen, lag die Abenddämmerung schon hinter uns und es begann Nacht zu werden. Wir erkundigten uns ein wenig und ich war immer noch recht fitt und drängte den Albert einfach weiter zu marschieren. Er sah zwar etwas abgekämpft und erschöpft aus, aber ich wollte einfach weiter. Das Gelände war von da an recht steil und den Steig konnte man nachts, trotz Stirnlampen, nicht besonders gut erkennen. Ich war wesentlich bessert trainiert als mein Begleiter Albert, sodass er hinter mir zurückblieb. Es musste Mitternacht verstrichen sein, als ich auf der Tete-Rousse Hütte ankam.

Hier war volles Haus, das heißt, alles überfüllt und das totale Chaos. Ich erholte mich an einem Tisch ein wenig von meinem überhasteten Aufstieg, bis endlich auch der Albert eintraf und sich erschöpft zur Ruhe legen wollte. Doch in dieser Hütte geschah plötzlich das genaue Gegenteil von Ruhe. Alle machten sich für den Aufbruch bereit und begannen Seilschaft um Seilschaft das Haus zu verlassen. Mich erstaunte das sehr, denn es war gerade erst ein oder zwei Uhr in der Nacht. Ich erfuhr, dass es hier üblich sei, in solcher Herrgottsfrühe zum Gipfelsturm anzutreten. Oho! So war das also. Mein Entschluss stand fest und der hieß: Auf und hinterher. „Albert! Aufgewacht! Wir machen uns auch auf den Weg!“

Für mich war dieser Marsch wie spazieren, denn die Leute gingen einen derart gemächlichen Rhythmus, so als wäre man bei einer Prozession. Ich konnte mich dabei förmlich erholen. Der gute Albert aber war hinter mir schon arg am Schnaufen, denn seine Lungen waren diese dünne Luft nicht gewohnt, er hatte sich noch nicht akklimatisiert.

Im ersten Morgenfrauen erreichten wir hoch oben eine riesige Biwak-Schachtel. Es war mehr so eine Art von Blechhaus. Der Albert war dermaßen erschöpft, dass er entkräftet in diesen überfüllten Raum hineintaumelte und sich gleich zu Boden gleiten ließ. Er seufzte, er könne nicht mehr weiter vor lauter Erschöpfung und er müsse etwas ausruhen, denn er spüre vor Kälte seine Zehen nicht mehr. Mir selbst war dieses Lazarett nicht sonderlich geheuer und ich blieb lieber draußen.

Ich hatte mir urplötzlich in den Kopf gesetzt, nachdem der ganze Aufstieg so gut gelaufen war, den Gipfel, der jetzt zum Greifen nah vor mir lag, unbedingt noch vor Sonnenaufgang zu erreichen. Darum ging ich zum Albert hinein in diese Biwak-Unterkunft und stellte ihm ein Ultimatum. „Ich gebe dir noch maximal zwanzig Minuten Bedenkzeit, wenn du es schaffst, ist gut, sonst gehe ich allein zum Gipfel!“ Oh, das wollte er auf keinen Fall.

Nach Ablauf der Zeit ging ich wieder zu ihm und er hatte immer noch sein Leiden mit seinen erfrorenen Füßen. Doch als ich kurz entschlossen mich alleine auf den Weg machen wollte, da kam er unter Aufbietung all seiner Kräfte dennoch aus dem Biwak und stapfte zu mir. Ich nahm ihn ins Seil und auf ging’s!

Wir kamen nicht weit und Albert begann fortwährend nach Atem zu ringen, er musste immer wieder Pausen einlegen. Uns kamen zwei Bergsteiger entgegen, ausgerüstet wie Astronauten und schleiften einen Bergkameraden zu Tale, der seine Füße nicht mehr bewegen konnte. So etwas hatte ich in meinem Leben auch noch nie gesehen. Diese Begegnung lief völlig sprachlos ab, wie in einem Film.

Wohlan, um neun Uhr morgens erreichten wir an diesem denkwürdigen achten August bei einer unglaublichen Kälte den Gipfel. Es blies ein heftiger Wind, dass man sich kaum auf den Füßen halten konnte. Ich machte einige Fotos und mir froren dabei beinahe die Finger ab. Alsdann machten wir uns auf zum Abstieg, den Albert ohne größere Probleme schaffte. Ohne jeglichen Schlaf genossen zu haben, fanden wir uns ungefähr um 18 Uhr wieder im Dorf Les Houches ein. Dort versandte Albert eine Ansichtskarte und ich dachte mir: „Eigentlich könnte ich mir eine Übernachtung sparen.“ Kurz entschlossen sprach ich: Komm, steigen wir ins Auto und fahren wieder heim.“

Dem Albert war das recht, denn kaum im Auto fiel er gleich in einen tiefen Schlaf. Unterwegs wurde es Nacht und es war kein Leichtes, mich fahrtüchtig zu halten. Früh morgens um 6 Uhr waren wir wieder in Prad. Das war mein 48-Stunden-Ausflug zum Mont Blanc.


Ich glaub, ich mag die Geschichte deshalb so besonders, weil ich zwei Dinge sehr gut nachempfinden kann: Unbedingt ein bestimmtes Ziel, auf Teufel komm raus, erreichen zu wollen und anschließend geradewegs zurück nach Hause fahren, auch wenn es totaler Irrsinn ist.

„Kunst und Natur auf der Spur“ ist im Eigenverlag eschienen und kann direkt bei Lorenz Kuntner gekauft werden. Einfach gedanklich auf dem Pappkärtchen das Titelbild und Neuerscheinung 7. Buch durch 8. Buch ersetzen, der Rest ist gleich geblieben.

Lorenz verschickt seine Bücher auf Anfrage auch (Porto innerhalb der EU etwa 15 Euro) oder noch besser: Beim nächsten Ausflug übers Stilfserjoch in Lorenz‘ Freilichtmuseum reinschaun und es mitnehmen. Es gibt auch noch Expemplare von den früheren Werken.