Ein Schuhkarton namens Lucky

Rossi, er ist jetzt 15 Jahre, hat auf seine alten Tage noch einen kleinen Bruder bekommen. Oder einen kleinen Neffen. Lucky unser neuestes Familienmitglied ist ein Yorkshire Terrier.

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Eigentlich müsste der kleine, 4 kg schwere Schuhkarton, Unlucky heißen. Er hat in seinem 11-jährigen Hundeleben wirklich eine Menge Pech gehabt. Aus seiner ersten Familie musste er wegen schlechter Haltung herausgenommen werden. Er kam zu meiner Groß-Cousine Heidi, die ihn sehr liebte, aber von Hunden (speziell Yorkis) gar keine Ahnung hatte und sich auch nicht zum Hundeversteher weiterentwickelte. Leider verstarb sie ganz plötzlich, als Lucky gerade 5 Jahre alt war. Schwester Rita wurde Luckys neue Besitzerin. Sie hatte genauso wenig Hundeerfahrung und verstarb als Lucky 9 Jahre war. Danach zog er zur ältesten Schwester Traudi, von der er zwei Jahre drauf leider auch schon wieder Abschied nehmen musste. Der arme kleine Kerl. Jetzt ist Lucky seit fast 2 Monaten bei uns.

Ganz ehrlich, ein Yorkshire Terrier wäre so ziemlich meine letzte Wahl gewesen, wenn ich die Rasse hätte wählen können. Unsere Nachbarn hatten vor 50 Jahren mal einen Micro Yorki namens Papillion. Der war schon niedlich, aber Pappi hat ganz schrecklich gestunken und das ganze Haus unserer Nachbarn stank mit. Das war so übel, dass ich ihn nie anfassen mochte. Rückblickend denke ich, er wurde nie gebadet oder in irgendeiner Form gepflegt. Aber egal, er hat jedenfalls einen solch bleibenden Eindruck hinterlassen, dass ich Yorkis bislang immer aus dem Weg gegangen bin. Außerdem war mir ein YT zu klein. Ein Hund sollte für mich schon neben dem Fahrrad herlaufen können. Jetzt hab ich einen, den ich mühlos in den Fahrradkorb setzen kann. Das bietet andererseits neue Optionen: Lucky könnte mich künftig als „Mitfahrer“ begleiten… Notiere: muss mir einen Fahrradkorb kaufen. Sobald mein Fahrrad wieder einsatzfähig ist. Das hab ich im November bei einem kleinen Radunfall etwas geschrottet.

Ansonsten hatte ich mir bis Ende 2024 über Yorkshire Terrier nur wenig Gedanken gemacht. Ich musste also ein bisschen nachholen. Auf einer Internetseite fand ich die Einleitung: „Stellen Sie sich einen Hund in der Größe eines Schuhkartons, aber mit der Persönlichkeit eines Löwens vor“… Lucky war inzwischen schon 2 oder 3 Wochen bei uns und ich musste lachen. EXAKT so isser, unser Lucky. Und dann war da noch von einem trotzigen Blick die Rede. Aber sowas von!!! Ich hab noch keinen Hund gesehen, der so trotzig kucken kann.

Mit Rossi hab ich ja schon einige Terriererfahrungen gesammelt. Terrier sind einfach anders drauf. Aber Lucky ist noch mal ein ganz anderes Kaliber. Alles was mit Rossi funktioniert, funktioniert mit Lucky nicht mal ansatzweise. Terrier Extreme! Wenn er Langeweile hat, bekundet er dies durch fleissiges Bellen. Wenn er sich die Lunge aus dem Hals bellt und man mit ihm schimpft, juckt ihn das nicht die Bohne, er bellt noch lauter. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Dreh einigermaßen raus hatte. Die einzige Möglichkeit, ihn vom Bellen abzubringen, ist ihn irgendwie gedanklich auf ein anderes Thema zu bringen. Ich zeig ihm zum Beispiel eine Packung Taschentücher, erzähle ihm, wozu man die braucht, er hört sich das an, denkt drüber nach und wenn ich sie runterhalte, kommt er angehoppelt und schnüffelt dran. Damit kann er natürlich gar nichts anfangen, aber nun muss erst noch ein bisschen über die ganze Sache nachdenken. Und während der ganzen Taschentuchgeschichte ist er ruhig. Dann startet er einen neuen Bellversuch und ich erzähl ihm andere wichtige Sachen, die ich ihm zeigen muss. Spätestens nach der dritten unsinnigen Geschichte hat er genug und legt sich in sein Körbchen – ganz schön crazy die Tante! Wo ist er da bloß hingeraten???

Generell macht er gar nichts auf Befehl, einfach nur, weil er das nicht möchte. Was ich möchte, ist ihm völlig wurscht. Obwohl er die Befehle zu kennen scheint. VIELLEICHT – aber nur vielleicht macht er das was ich möchte, wenn es ihm zufällig gerade in den Kram passt. Aber das weiß man vorher nicht so genau. Wenn man es jetzt möchte, macht er es garantiert nicht. Sitz sowieso nur auf einem bequemen Untergrund. Kommen manchmal ja, manchmal nur, weil die Tante (ich) mit einer Tüte Leckerchens wedelt. Da steht noch einiges an Arbeit an.

Außerdem glaubt der 4 kg Schuhkarton, dass er ein Herdenschutzhund ist. Immer vorne weg und alle bösen Menschen und Hunde verjagen. Es wird langsam besser, seit ich mich vor ihn stelle und die Leitfunktion übernehme. Auch wenn ich mich mit den angebellten Hundehaltern unterhalte stellt er das Beschützen ein. Dabei verträgt er sich eigentlich sehr gut mit anderen Hunden – anders als Rossi, der ja längst nicht jeden mag. Wenn er Hunger hat oder Appetit, wird Lucky so richtig zum Löwen – Gebelltechnisch gesehen. Der kann ganz schön Radau machen.

Die ersten beiden Wochen hatte ich außerdem ziemlich Stress, weil Luckys Verdauung nicht mit Rossis koordiniert war. Ich hab die beiden Chaoten 6 bis 7 Mal am Tag vor die Türe schleifen müssen, um halbwegs sicher sein zu können, dass ich nicht gleich die nächste Pfütze aufwischen muss. Der eine machte das eine, der andere das andere und das jeweils nicht gemachte landete dann gerne auf den Fliesen im Flur. MACHT DOCH BITTE BEIDE ALLES LEER WENN WIR SPAZIERENGEHEN!!! Heul.

Rossi ist da auf seine alten Tage eh extrem geworden. Wenn er muss, dann muss er. SOFORT! Egal wo er sich in diesem Moment befindet, es muss raus. Ihn kann man allerdings präventiv alle paar Stunden mal kurz in den Garten schicken. Lucky wollte das nicht. Der konnte nur auf der Straße pinkeln. Und ihn aus dem Haus zu bringen ging auch nur mit Zittern und unter Protest. Ich denke, er hatte Schiss, dass er schon wieder umziehen muss. Die ersten 20 Meter musste er immer getragen werden, damit ich ihn überhaupt aus dem Haus bekam.. Kurz vor Silvester, als immer mal irgendwo ein Böller losging, wollte er vor lauter Panik gar nicht mehr raus. Das hat sich glücklicherweise alles längst gelegt. Mittlerweile steht er Gewehr bei Fuß wenn ich mir die Jacke anziehe und springt fröhlich nach draußen und los. Er ist ein kleiner Flummi.

Lucky ist in seinem ganzen Leben immer nur mit Leine unterwegs gewesen. Jetzt hat er ein neues Zuhause bekommen und er sollte alleine in den Garten gehen. Auf keinen Fall! Ohne Leine wollte er weder in den Garten, noch über die Türschwelle. Also hab ich ihn in den Garten gesetzt. Dann war er total überfordert, dass er sich hier ohne Leine bewegen sollte. Schlich sich immer an der Wand lang und wollte nichts wie wieder rein. Langsam benimmt er sich wie ein normaler Hund, rennt herum, schnüffelt und scharrt in den Beeten. Okay, letzteres muss er nicht unbedingt machen. Da werden wir noch drüber reden. Aktuell findet er es sehr interessant, dass es am Zaun nach der Nachbarhündin Linette riecht. Jetzt steht er länger am Zaun und schnüffelt. Es ist schön ihm dabei zusehen, wie er langsam seine neue Welt erobert.

Eigentlich wollte ich ja gar keinen zweiten Hund. Ich hatte auf dem Schirm, wenn Rossi eines Tages nicht mehr bei mir ist (Horrorvorstellung), dann kann ich mal wieder Überseereisen machen, weil ich keinen Hund habe, um dessen Unterbringung ich mich sorgen muss. Aber dann starb Traudi und ich wusste, da ist der kleine Lucky. Also hab ich etwas „unüberlegt“ zu Traudis Kindern gesagt, wenn ihr keine Lösung für ihn findet, bevor er ins Tierheim kommt, nehmen wir ihn. Anschließend hatte ich ein paar schlaflose Nächte, weil so einfach wird man ja nicht zum Zweit-Hundehalter. Was würde Rossi dazu sagen, (und meine Mutter…) wo sollte er schlafen, wie würde er sich eingewöhnen, mit welchen Macken müssen wir klarkommen und so ein Yorki mit seinen langen Haaren ist ja auch pflegetechnisch eine andere Nummer als mein Kurzhaarfrisur-Allwetter Langbeindackel Rossi.

Lucky04Vor seinem endgültigen Umzug kam Lucky erst noch mal einen Nachmittag zu Besuch. Kasus Knacktus war die Akzeptanz von Rossi, bzw. wie die beiden miteinander klar kommen. Das klappte gut. Sie ignorierten sich weitestgehend. Jedenfalls kein Stress, kein Gekämpfe, Futterneid, Eifersucht oder irgendwas. Die ersten beiden Monate waren sie sich total egal. Inzwischen liegen sie beim Schlafen auch schon mal näher zusammen. Und im Auto teilen sie sich einen Sitz.

Bei seinem Kennenlernbesuch wurde allerdings auch klar, dass es nicht so ganz einfach werden würde. Lucky ließ sich zwar mit Leckerchens füttern, verkroch sich ansonsten die ganze Zeit unter einem Stuhl und ließ sich nicht abrufen oder streicheln. Er war ziemlich durch den Wind (schon wieder die Mami gestorben), abgemagert und optisch kein zweiter Rossi. Meine Mutter befand ihn als einen „ausgesprochen hässlichen Hund“. Inzwischen hat sie ihn liebgewonnen und sieht ihn mit wohlwollenderen Augen. Beim Autofahren sitzt der „hässliche“ Hund sogar auf ihrem Schoß

Ich fand ihn anfangs auch nicht sonderlich hübsch. Aber je länger er um mich ist, deso knuffiger finde ich ihn. Er schaut schon lustig aus. Und sein Fell glänzt und fühlt sich super seidig an. Weil er so schön handlich ist, kann man ihn beim Fernsehen gut auf dem Arm haben und streicheln. Rossi steht dann etwas pikiert vor dem Sessel und möchte ebenfalls gestreichelt werden. Wird er natürlich. Rossi findet es nicht so schön, wenn Lucky mehr Aufmerksamkeit bekommt als er. Er sagt zwar nichts, aber er kuckt mit feuchten Augen zu mir hoch und ich versichere ihm, dass er immer noch mein Liebling ist, auch wenn er nervige alterssenile Marotten hat. Rossi big love forever!

Man könnte ja denken, ob 1 Hund oder 2, das macht keinen großen Unterschied. Doch, macht es schon. Einer mehr, den man im Auge behalten muss, der Zuwendung und Aufmerksamkeit haben will. Der kleine Lucky macht vielleicht nicht so viel mehr Arbeit, und ist mit kleinen Spazierrunden zufrieden. Aber er nimmt trotzdem einige Zeit in Anspruch. Heute waren wir zum Impfen. Hätte fast übersehen, dass er noch keine Tollwut Impfung hatte. Die braucht er natürlich, wenn wir demnächst wieder auf Reisen gehen. Bin gespannt, wie ihm das Leben im Wohnmobil gefallen wird.

Ach, noch ein Wort zu unserem kleinen Lucky: Er hasst es fotografiert zu werden. Er schaut prinzipiell immer in die andere Richtung. Bislang hab ich noch kein einziges, richtig schönes Foto von ihm machen können 🙂

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