Wir sind in der Altstadt von Riga. Guide Mihael erzählt Clarissa gerade etwas über die Architektur, während ich ein paar Schritte abseits stehe und Fotos mache. Plötzlich spricht mich eine kleine verhutzelte Frau an: „Can you give me some monney for a coffee?“
Sie sieht aus wie ein runzeliges Großmütterchen aus einem alten bäuerlichen Gemälde. Sie trägt einen einfachen warmen Wollmantel und eine Mütze unter der leicht gelockte graue Haare hervorschaun. Sie muss weit über 80 sein, ein paar Zähne fehlen, aber sie hat wache muntere Augen und sie lächelt so lieb, dass man versucht ist, ihr aufmunternd über den Arm zu streicheln.
Während ich in den Tiefen meines Rucksacks nach dem Portemonnaie krame, fragt sie, ob ich aus England komme. Als ich verwundert verneine, erklärt sie mir: „Oh I thought you are from England, your eyes are english!“ Sie spricht ein weiches, klares Englisch, ohne lettischen Akzent.
„My eyes are english?“ Ich muss lachen. Es gibt tatsächlich englische Augen? „Yes you have english eyes.“ Okay, dann nehm ich das mal so hin. Ich hab also englische Augen!
Als wir uns verabschieden, entschuldigt sie sich, dass sie es unter den Sowjets nicht leicht hatte und deutet damit ihre finanziell schlechte Situation an. Als ich wieder zu Mihael und Clarissa stoße, fragt er, ob sie mich auf Deutsch angesprochen hat. Sonst spricht sie die Leute auf Deutsch an. Kurz darauf ist sie von den nächsten Touristen umringt. Ob die auch alle englische Augen haben? Oder deutsche Augen?
Die kleine verhutzelte Frau geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Jemand in ihrem Alter, der gut Deutsch und Englisch spricht, muss vor der russischen Okkupation eine gute Schulbildung genossen haben. Was sie wohl für eine Geschichte zu erzählen hat…
Diese Momentaufnahme entstand während einer Recherchereise nach Riga. Herzlichen Dank an Air Baltik und Live Riga für die Unterstützung!