Die Strandidylle trügt… oder warum gibt es eigentlich keinen Reset Knopf, der einen dummen Fehler oder gleich den ganzen Ablauf wieder rückgängig macht? Der Gedanke durchfährt mich in dem Moment, als die Räder durchdrehen.
NEIIIIN – innerlicher Aufschrei. Mir ist direkt klar, dass ich mich festgefahren habe, und dass es jetzt sehr sehr unlustig wird und ich wünsche mir so sehr mit den Tasten STRG + Z, die Kacke rückgängig machen zu können.
Bis zu diesem Moment war es ein richtig guter Tag gewesen. In Cortese gab es einigermaßen brauchbares Internet, sodass ich in der Sonne ein paar Stunden mit Aussicht arbeiten konnte. Danach kamen wir an diesen wunderbaren Strand. Sonne, 22 Grad, kein Wind. Rossi rettet gefühlte 99 Mal seinen Ball aus dem einmündenden Bach und ist glücklich wie nur ein Hund glücklich sein kann. Ich sitze im Sand, werf ihm den Ball in den Bach, freu mich über meinen glücklichen Hund und bin genauso rundum glücklich.
Weil das Wetter und der Ort (keiner, der stört) so perfekt sind, beginne ich anschließend mit dringend ausstehenden Auf- und Umräumarbeiten im Expert.
Außerdem optimiere ich einige Sachen, die quietschen oder klappern. Endlich ist mal Platz im Auto. Alles ist vernünftig einsortiert und weggeräumt. Zwischendurch regnet es ein bisschen. Die perfekte Pause, um am Laptop weiter zu arbeiten. Jetzt wo endlich alles aufgeräumt und schön ist.
Und es ist der perfekte Ort, um eine Dusche und Haarwäsche vorzunehmen. Ich hab Wasser und Abgeschiedenheit. Alles gut. Sogar mit dem Origo Kocher hab ich mich schon ganz gut arrangiert. Das Wasser ist heiß, ich will mit der „Dusche“ loslegen. Aber irgendwie ist in meinen Duschevents der Wurm drin. Rossi bellt. Immer wenn das Wasser die richtige Temperatur hat, kommt jemand angefahren und stört. Er fährt dann zwar wieder weg. Aber ich stelle fest, dass mein Auto nicht gut steht. Ich sollte es drehen.
Dabei ist es dann passiert, einen halben Meter zu weit zurückgesetzt und ich stecke im Sand fest.
Die Versuche, wieder rauszukommen, graben mich noch tiefer in den Sand. Wie gut, dass ich einen Spaten dabei habe. Nur, der alleine hilft nicht. Ich muss was unterlegen, um mir einen festen Untergrund zu schaffen. Ich fahre mich noch fester fest. Ich schleppe eimerweise Steine ran, schaufel mehrere Sandkästen feinsten Sand unter meinem Auto hervor und muss einsehen: Das wird nichts.
Mittlerweile wird es auch schon dunkel. ADAC anrufen, dass die mir einen corsischen Abschleppdienst vorbei schicken, ist jetzt auch keine Idee mehr.
Und was bei all dem Mist das allergemeinste ist: Ich könnte ja denken, Scheiß drauf, wenigstens steh ich an einem schönen Strand, mach ich mir doch einen gemütlichen Abend und grabe morgen weiter. Aber nein, das kann ich wirklich nicht denken, denn mein Auto ist nicht beschlafbar. Es steht sowohl horizontal als auch vertikal schief, Ich würde kopfunter aus dem Bett rollen. Bleibt als Option Zelt aufbauen. Wie gut, dass ich das mitgeschleppt habe. Ha ha.
Zelt will ich aber nicht. Dann lieber eine Nacht auf dem Fahrersitz und hoffen, dass ich mir dabei nicht zu sehr den Rücken schief biege und ohne Hexe wieder aufstehe.
Kurz nach 20 Uhr, es ist stockdunkel, mein Notepad hat noch etwa 10 Minuten Saft, dann ist Ende mit dem Unterhaltungsprogramm für diesen Abend. Es ist eh kalt. Man merkt, dass die Fahrerkabine im Auto nicht isoliert ist. Es ist saukalt.
Morgen werde ich weiterschaufeln und mir überlegen, welche Matte oder Decke ich opfern werde, um hier rauszukommen, Steine unterlegen alleine wird garantiert nicht helfen. Oder ich ruf doch den ADAC. Aber diese Schmach… Dumme Frau fährt mit Auto in den Sand und bleibt stecken. Typisch!
Ich denke ein bisschen an Clärenore Stinnes und ihren Carl-Axel Söderström, mit dem sie Ende der 1920er zwei Jahre lang mit dem Auto um die Welt gefahren ist. Die mussten ihr Auto auch ständig ausbuddeln. Aber zu zweit ist es nur halb so schlimm. Man hat jemandem, dem man ein bisschen was vorheulen oder vorfluchen kann. Rossi versteht das nicht. Der Depp hat auch noch die rangeschleppten Äste wieder unter meinem Auto hervor gezehrt, um drauf rumzukauen.
Rossi liegt jetzt hinten und schläft. Den stört es nicht, dass alles schief ist. Der ist im Gegensatz zu mir immer noch glücklich.
Die Nacht war… na ja besser als sie anfing. Auf dem Fahrersitz schlafen ging nicht. Zelt aufbauen wollte ich nicht. Also hab ich versucht, die Unebenheiten im Bett durch Decken und Kissen auszugleichen. Ging irgendwie. Ich hab mir keine Hexe geschossen und tatsächlich immer mal wieder geschlafen und wirres Zeugs geträumt. In den Wachphasen hab ich über den weiteren Ausgrabungsablauf nachgedacht. Mehr Steine… Aber eigentlich brauche ich den Wagenheber, um Steine unter die Reifen legen zu können. Das brachte mich auf die Frage, wo ist dieser verdammte Wagenheber eigentlich? Hab ich den etwa mit den Schränken verbaut? Und muss ich den Schrank am Fußende abbauen, um den Wagenheber freizulegen?
Ein Blick in die Bedienungsanleitung meines Autos würde bei der Suche helfen. Ich weiß, dass ich sie irgendwo gut verstaut habe. Aber wo ist irgendwo? Gut ist es überall. Also ich schlafe wieder bis zur nächsten Grübelei. Morgens als es hell wird, haben sich meine Probleme leider noch nicht von selbst gelöst. Ich stecke weiterhin im Sand fest. Es ist noch kalt und ich habe Null Lust, weiter zu graben. Hilft aber nichts. Es kommt niemand, um mich zu retten.
Oder doch, es kommt jemand. Hurra! Ein weißer Peugeot Partner, der kleine Bruder meines Autos kommt die Abfahrt runter. Stoppt, sieht mich, wendet und ist wieder weg, bevor ich auch nur zwei Schritte auf ihn zu rennen und um Hilfe bitten kann. Der hat bestimmt gesehen, dass es hier Arbeit gibt. Eine Stunde später kommt er noch mal, dreht und wendet. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass er es ist.
Gut, vielleicht reichen die Steine ja endlich. Ich versuche es ein weiteres Mal und stecke weiter in dem Loch, das noch ein bisschen tiefer geworden ist.
Das ist der Moment, in dem ich einsehe, ich komm da alleine nicht raus. Dazu müsste ich mehrere Quadratmeter Sand abtragen und durch Steine ersetzen. Was ich aber nur könnte, wenn ich einen Wagenheber hätte, bzw. drankäme. Der steckt nämlich im Reservereifen unterm Auto und da komm ich NICHT dran, außer ich grabe es voher frei… Ha ha.
Wie gut, dass es die gelben Engel gibt. Der Mitarbeiter in der Auslandleitung bedauert mich sehr. Kann mir aber auch nicht richtig helfen. Denn festfahren bzw. wieder rausziehen gehört nicht zu den ADAC-Serviceleistungen. Ja, aber er könnte mir ja vielleicht einen Abschleppdienst organisieren? Selber einen übers Internet suchen kann ich nicht, denn das blöde mobile wifi dings braucht hier am Strand gefühlte 10 Minuten pro Seite. Wahrscheinlich noch länger.
Der nächste Abschleppdienst (mit dem der ADAC zusammen arbeitet) kommt aus Ajaccio. 45 km weg – eine Stunde Anfahrt. Der Engel sagt mir gleich, das geht in den dreistelligen Bereich, plus Anfahrt. Eine Stunde durch die Lande fahren, um ein Auto rauszuziehen, das kanns ja nicht sein. Der Engel schlägt vor, ich sollte doch schaun, ob ich nicht einen Bauern in der Nähe finde, der mich mit dem Traktor rauszieht. Ich schätze, der Mann war noch nie auf Korsika. Hier findet man auf große Distanz gar nichts. Er wünscht mir viel Glück und wenn’s gar nicht geht, soll ich mich noch mal melden.
Das mit dem Bauern kann ich vergessen. Aber oben auf der Straße ist ziemlich reger Verkehr. Ich könnte jemanden anhalten und um Hilfe bitten. Nur ich kann kein französisch. Abgesehen von ein paar Worten, die nach vier Jahren Schulfranzösisch hängen geblieben sind. Also kein Französisch, um jemanden zu erklären, dass ich im Sand stecke und rausgezogen werden muss. Aber ich hab eine Idee.
Ich nehm mir eins von den Holzstücken, die von meiner Automöblierung übrig geblieben sind und schreibe mit Kuli in Großbuchstaben „HELP“ drauf.
Dann schnapp ich mir die Kamera, auf der mein versandetes Auto abgelichtet ist und den Hund und geh hoch zur Straße.
Von 7 bis 9 Uhr ist hier ein Auto nach dem anderen vorbei geschossen. Jetzt wo ich eins gebrauchen könnte, kommt keins. Auf der anderen Straßenseite biegt ein kleiner Weg ab. Vielleicht doch ein Bauer in der Nähe? Vor einer kleinen Hütte stehen mehrere Bauwannen mit leeren Weinflaschen. In dem nebenstehenden Holzschuppen scheint jemand eine Art Hobby Bar zu betreiben. Hinter einem Plastikvorhang erkennt man eine Theke, gut ausgestattet mit gefüllten Flaschen. Ach ja, vor dem Haus steht ein weißer Peugeot Partner…
Ich schreie laut „BON JOUR“ und warte. Keine Antwort. Noch mal schreien, noch ein bisschen Warten. Niemand da, obwohl das Autofenster offen steht und auf dem Beifahrersitz ein Laptop steht. Da ist bestimmt jemand. Aber wenn es MEIN Peugeot Partner von vorhin ist, hat er wahrscheinlich immer noch keine Lust auf Autoausgrabungen.
Die leeren Weinflaschen find ich eh nicht so vertrauensbildend, lieber wieder an die Straße stellen. Ein paar Mittelklasse-Wagen aber auch einige SUVs rauschen an mir vorbei. Ich bin mir nicht sicher, ob so einer mich rausziehen könnte? Dann kommt ein Transporter. Ich winke und halte mein HELP-HOLZ“ hoch und er HÄLT!!!
Parlez vous englese? Nein es sind zwei Italiener. Können nur italienisch. Mit Hilfe der Kamera zeige ich ihnen mein Problem und frag, ob sie mir helfen können. Sie steigen aus, schaun um die Ecke, wo man mein versandetes Auto sieht und sagen ja. Die lieben Italiener wissen nicht, worauf sie sich da einlassen. Auf den ersten Blick sieht es aus nach: Transporter vor den Expert spannen, Expert rausziehen. Aber so flott wird das dann natürlich nichts. Es gibt noch ein paar kleinere Probleme.
1. Kaum bei meinem Auto angekommen, fährt sich der Italiener beim Wenden ebenfalls im Sand fest. Glücklicherweise auf festerem Untergrund und nicht so tief. Wir kriegen ihn wieder rausgeschoben. Ich schiebe dabei Angst, dass sie mir sagen, das wird nichts mit ihrem Transporter, da muss ein Bulldog ran oder das Militär, oder… und dass sie wieder abhaun. Tun sie aber nicht, die Lieben!
2. Mit vereinten Kräften schaffen wir es, den Abschleppbolzen in die dafür vorgesehene Vorrichtung zu schrauben. Ich hätte nicht mal gewusst, dass mein Auto sowas hat. Mario, so heißt der ältere von den Beiden (glaub ich wenigstens), übernimmt das Steuer in meinem Auto und meint, ich solle doch besser den Wau Wau aus dem Auto rauslassen. Rausziehversuch der erste: Nichts passiert, nur das Abschleppseil der Italiener reißt. Das war aber glaub ich auch schon leicht marode.
WIE GUT! Dass ich letztes Jahr auf den Hebriden das 40 Meter Fischerseil aus dem Strand ausgegraben habe, um Seevögel und Robben vor Verstrickungen zu retten. Und WIE GUT, dass ich ebendieses Seil dabei habe. Giovanni und Mario machen aus meinem 40 Meter Einfachseil ein 5 Meter langes 8-fach Seil.
3. Giovanni ist außerdem (wie ich) der Ansicht, dass man die Vorderräder mit dem Wagenheber liften muss, um festes Material unterzulegen. Glücklicherweise weiß er, wo sein Wagenheber ist und er kommt ohne Probleme dran! Ich beschließe, dass ich mir bei Gelegenheit einen vernünftigen Wagenheber zulegen werde, der nicht irgendwo unterm Auto zu finden ist.
Eins von meinen Brettern kommt jetzt als Stütze für den Wagenheber zum Einsatz. Mit wenigen Rauf- und Runterbewegungen der Hebelstange (sowas will ich auch!) kommt das rechte Vorderrad langsam in die Höhe. Dann Knack und der Reifen ist wieder unten. Der Wagenheber ist im Eimer. Ich krieg erneute Schweißausbrüche, dass Giovanni und Mario das Handtuch schmeißen und davon fahren. Glücklicherweise schmeißen sie keine Handtücher.
Der Wagenheber ist nicht komplett im Eimer, nur die Auflagefläche oben hat sich gelöst. Es geht auch ohne. Zwischendurch führen Giovanni und Mario italienisch temperamentvolle Diskussionen, wie sie mein Auto da am besten rauskriegen. Ich verstehe kein Wort, aber Giovanni deutet an, dass Mario nicht mehr so gut hört. Und sie deshalb so lautstark palawern. Glaub ich wenigstens, dass er das angedeutet hat.
Auch das zweite Vorderrad wird angehoben und unterlegt. Mario hat derweil einen ganzen Sandkasten unter dem Motorraum weggegraben. Die beiden hatten bestimmt was Besseres vorgehabt, als im Sand um mein Auto herum zukriechen und zu graben. Ich krieche und grabe natürlich mit. Ich bin den beiden so unendlich dankbar.
Beim zweiten Versuch klappt es tatsächlich. Giovanni zieht vorne, ich schiebe hinten, Mario lenkt und Rossi freut sich über die nette Abwechslung. Endlich mal was los!
MEIN AUTO IST FREI! Wir freuen uns gemeinsam eine Runde, ich bekomme von Giovanni rechts und links ein Küsschen und von Mario auch noch, dann fahren sie davon.
Was mir so unendlich leid tut, sind die fehlenden Worte, um den beiden zu danken, und zu sagen, wie froh ich bin. Aber ich hab Giovanni nach seiner Visitenkarte gefragt und ihm eine Dankes-E-Mail in Deutsch und google Italienisch geschickt.
Was für ein Glücksgefühl. Danach hüpf ich erstmal in den eiskalten Bach, in dem Rossi gestern gebadet hat, um mir den ganzen Dreck und Schweiß von der Sandgräberei abzuwaschen. Es ist sehr sehr kalt. Aber mir geht es nun wieder gut und ich bin glücklich, glücklich, glücklich. Und ich kann gar nicht sagen, wie schön es ist, abends wieder in einem gerade geparkten Auto zu schlafen – an einem anderen Ort. ;-))
Mille Grazie Caro Giovanni e Mario!